Alicia Dern

1. Preis - Kategorie: Kinder

Gummistiefelweg

Seit Wochen liegen auf einer Wiese, ein Stück weit weg von dem Weg, der in den Wald führt, ein Paar große, dreckige Gummistiefel. Normalerweise kommt hier kaum jemand vorbei. Warum die Stiefel wohl hier liegen? Wie sind sie her gekommen?

Keiner der wenigen Spaziergänger, die dort manchmal vorbei gingen, interessierte, woher diese Stiefel kamen. Nur der zwölfjährige Mike, der mit seiner Mutter in einem Haus, nahe der Wiese wohnte, wollte herausfinden, was dahinter steckt.

Traurig sitzt er in seinem Zimmer. Eigentlich sollte er Hausaufgaben machen, doch seine Gedanken schweifen immer wieder ab. Er musste an seinen Vater denken. Seit zwei Wochen war dieser ohne jede Spur verschwunden. Die Polizei hatte bereits die Hoffnung aufgegeben und ihn für tot erklärt. Aber Mike wusste, dass mehr dahinter stecken musste, denn sein Vater war selbst ein Polizist und würde niemals ohne Weiteres abhauen. Vielleicht hatten ja die Stiefel auf der Wiese etwas damit zu tun? Da der Junge mit den Hausaufgaben bereits fertig war und nichts zu tun hatte, beschloss er, dem Geheimnis der Gummistiefel auf den Grund zu gehen.

Als es zu dämmern begann zog der Junge seine roten Turnschuhe an und schlich sich heimlich nach draußen auf die Wiese zu den Gummistiefeln. Was das bringen sollte, wusste er auch noch nicht, aber es konnte ja nie schaden, das nächtliche Geschehen auf der Wiese zu beobachten.

Zwei Stunden später, als es schon so dunkel war, dass er nicht einmal mehr sein Haus sehen konnte, beschloss Mike, wieder zurück in sein Bett zu gehen. Doch als er sich aus seiner Beobachtungsposition aufrappelte, nahm er einen Schatten, nicht weit weg von ihm, wahr. Es war schon zu dunkel, um genaueres sehen zu können, aber Mike wusste nicht, ob er unbedingt sehen wollte, wer da vorne war und was die Gestalt hier zu suchen hatte. Innerlich überlegte er, was er jetzt tun sollte. Doch diese Entscheidung wurde ihm sofort abgenommen, als der Schatten sich dem Kind langsam näherte. Mikes Instinkte sagten ihm, er solle auf der Stelle weglaufen, aber seine Beine fühlten sich an wie Blei. Die Gestalt kam immer näher und näher, bis sie vor ihm stand. Er konnte den Atem der Person spüren, leise und regelmäßig. Jetzt war es zu spät, abzuhauen, denn der Schatten hob seine Hand, und etwas Spitzes schoss auf den Junge zu.

Als die Mutter am nächsten Tag aufwachte, konnte sie ihren Sohn nirgendwo finden. Seine Schuhe standen nicht im Regal. Schuhe, Regal - bei diesen Worten musste sie sofort an ihren verschwunden, vielleicht verstorbenen Mann denken, dessen schmutzige Gummistiefel hier auch immer standen. Doch als er verschwand, trug er seine Schuhe bei sich, sodass in dem Schuhregal nur noch ein Paar stand, die Schuhe von ihr. Dann musste sie wieder an Mike denken. Hastig eilte sie nach draußen, um auf der Wiese nach ihm zu suchen. Doch ihr Sohn war unauffindbar, so wie ihr Mann. Das einzige, was sie auf der Wiese fand, waren zwei Paar Schuhe — große, dreckige Gummistiefel und rote Sneakers — und ein paar eingetrocknete Tropfen Blut.