Jukka Hakola

Kategorie: Erwachsene

Geheimnisvolle Gummistiefel

Auf der Wiese, etwas abseits von der Straße, die in den Wald führt, liegen schon seit Wochen große, schmutzige Gummistiefel. Normalerweise ist niemand in dieser Gegend unterwegs. Warum liegen die Stiefel hier? Wie sind sie auf diese verlassene Wiese geraten?

Auf die Wiese, die im Jahre 2017 der Treffpunkt von zwei Verliebten, Sauli und Angela, war. Sauli studierte, um Automechaniker zu werden, an der Mercedes Benz-Autofabrik in Uusikaupunki, nachdem er von seinem Ausbilder ausgezeichnete Empfehlungen bekommen hatte. Das Ingenieurstudium bestand Sauli mit glänzenden Zensuren und war voller Enthusiasmus. Da er auch die deutsche Sprache ziemlich gut beherrschte, hatte Sauli Interesse an einer Reise nach Deutschland.

Gleichzeitig studierte Angela Archäologie an einer deutschen Universität; ihr Thema war die finnische Natur. Der betörende Duft, der über die Ostsee zu ihr schwebte, gab ihr Anlass, die finnische Kultur bis in die Menschenseelen hinein kennenzulernen. Sauli plante, auch sein Fischfanggerät auf die Reise mitzunehmen sowie nagelneue Stiefel, die für ihre neue Technologie bekannt waren. Sie enthielten nämlich eine neue Gummimischung, die mit einem GPS-Chip versehen war: Stiefel, die man finden könnte, wenn etwa Verliebte in eine Notsituation gerieten, zum Beispiel auf einem Floß mitten in der Ostsee.

Es war Freitag, der 24.3.2017. Sauli schaute auf die Kontaktanzeigen der Zeitung und sah Angelas schönes Gesicht oben in der Zeitung abgebildet. Ihr Gesicht war wie ein vom Sonnenschein beleuchtetes Meritenverzeichnis und verursachte einen bogenförmigen Ausdruck auf Saulis Gesicht, wie die (sprichwörtliche) Sonne von Naantali an einem solchen Tag, als wäre die Wiese gerade in voller Blüte aufgeblüht. Nach einer Kontaktaufnahme zu Angela machte Sauli noch letzte Vorbereitungen für die Deutschlandreise. Nach Angelas Wunsch sollte er einen Anzug und eine Krawatte mit den Farben der finnischen Fahne mitnehmen, er vergaß auch nicht die in Finnland im Stil der neuen Zeit entwickelten Stiefel und seine Hobbygerätschaft. Die Kleidung des Automechanikers dürfte diesmal im Ankleideraum der MB-Fabrik bleiben.

Sauli buchte einen Flug nach München, wo klares, helles Juniwetter herrschte. Angela wartete etwas gespannt auf den Automechaniker und dachte zugleich an Saulis gutes Aussehen. Der Mann würde in seinem flotten Anzug sicher anders aussehen. Vom Münchener Flughafen sollte die Weiterreise in den naturschönen Schwarzwald führen, den Angela gepriesen hatte. Sauli kam gutgelaunt am Flughafen an, und Angela empfing ihn mit dem Eifer der Jugend. Im Gespräch erzählte Angela, dass sie vor einigen Jahren eine finnische Sauna besucht hatte. Als sie aus dem Saunafenster schaute, sah sie mehrere Nistkästen, und als sie eine Vogelstimme hörte, platzte sie mit dem Satz heraus: „Die Vögel singen ja hier wie der deutsche Kuckuck, und ihre Stimme ist so laut, als würde ein Mercedes auf der Hamburger Autobahn fahren. Wie um Himmels willen sind die Kuckucke hierher geflogen?“ – Vielleicht wussten sie, dass man hier Nistkästen baut, und zwar richtig im Akkord! – Es war Zeit, durch die Zollkontrolle zu gehen. Der GPS-Chip machte sich zwar irgendwie bemerkbar, aber zum Erstaunen von Sauli und Angela winkte der Zollbeamte sie durch, die Blaskapelle spielte gerade das neue Eurovisionslied, das die Zollbeamten fast in Panik versetzte.

Auf dem Münchener Flughafen merkten Sauli und Angela, dass die Stiefel, die Sauli in eine große Tasche eingepackt hatte, im Durcheinander der Kontrolle in ein anderes Taxi geraten waren. Zum Glück für beide hatte sich die optimale Struktur des Chips etwas gelöst, um ein Signal zu geben, das jedoch zu steuern war. Sauli hatte zu Hause in Helsinki daran gedacht, auch ein Handy mitzunehmen, mit dem man Kontakt zu den Stiefeln aufnehmen könnte. Die Stiefel hatten auf dem Rücksitz des Taxis einige Schrammen bekommen und waren vor allem verdreckt. Man hatte in dem Taxi die Schuhe der Fußballer von Bayern München aufbewahrt. Deshalb konnte man annehmen, dass das Taxi Saulis Stiefeltasche in die Allianz Arena gebracht hatte.

Angelas Eltern wohnten in der Münchener Innenstadt, und als Angela 25 wurde, hatten ihr die Eltern einen MB-Geländewagen geschenkt. Als sie im Schwarzwald ankamen, gab Angela Sauli die Blumen aus der Zeit ihres Archäologiestudiums, die noch immer den betörenden Duft der Ostsee ausströmten. Sauli zog die Fischfangstiefel an und ging auf die Jagd nach etwas Essbarem. Nachdem sie am Tisch am Wiesenrand zu Mittag gegessen hatten, fielen beide in einen traumähnlichen Zustand, blieben aber doch so weit wach, dass sie das Auto wieder starten konnten. Ins Auto packten sie mit ihren Sachen viele neue Erfahrungen, über die sie dann in der Zukunft Meinungen austauschen könnten. Sauli hatte die Stiefel auf der Wiese vergessen, hatte aber, vom schönen Wetter begleitet - ohne Blaskapelle -, seinen Anzug mitsamt Krawatte wieder angezogen.

Angela und Sauli fuhren Richtung München, und Sauli trat die Rückreise ins Heimatland an. In den Stiefeln, die auf der Schwarzwaldwiese liegen blieben, begann das Signal des GPS-Chips wieder aufzuwachen und den Ton der Blaskapelle am 6.12.2017 zu erkennen. Die Blaskapelle spielte ein Lied an, dessen Text lautete:

Die Blumen blüh’n und die Kuckucke rufen wie Suomi.
Du siehst eine Wiese wie eine sanfte Brise.
Daraus bekommt Kraft das 100-jährige Suomi.