● (24) Finnische Literatur
26.2.2015
Ulrike Wörner und Ingeborg Keil berichteten über unterschiedliche Themen aus der neueren finnischen Literatur.
Ulrike Wörner sprach über das Buch „Alles frisch – Neue Erzählungen aus Finnland“, das anlässlich der Frankfurter Buchmesse 2014, deren Gastland Finnland war, herausgebracht wurde. Der Herausgeber Stefan Moster, geb. 1964, arbeitet als Schriftsteller und Übersetzer und lebt mit seiner Familie in Espoo, Finnland.
Die Anthologie umfasst 25 Erzählungen von verschiedenen zeitgenössischen Autoren und Autorinnen, die einen repräsentativen, vielfältigen und oft hintergründigen Einblick in die heutige finnische Gesellschaft geben. Die Geschichten wirken auf uns oft skurril, doch ihnen liegt der im hohen Norden völlig andere Alltag in einer uns fremden Erlebniswelt zugrunde.
Finnische Schriftsteller richten sich sprachlich und inhaltlich an alle Bildungsschichten, sie nehmen das alltägliche Leben in den Blick. Sie interessieren sich für die Menschen in ihren ganz gewöhnlichen Lebensumständen, geben sich kaum einmal elitär und legen großen Wert auf die Zugänglichkeit ihrer Texte. In „Alles frisch“ sind hauptsächlich AutorInnen zu entdecken, die in Finnland Ansehen genießen, aber noch nicht ins Deutsche übersetzt worden sind.
Wer dieses Buch liest, erfährt mehr über Finnland als es mit Hilfe von Reiseführern möglich wäre, weil der Blick auf das finnische Selbst- und Weltverständnis nicht von außen sondern von Innen kommt. Die Erzählungen fangen Kindheitserinnerungen ein oder hinterfragen die akuten Zustände in Ehen und Familien. Sie rücken zwischenmenschliche Beziehungen in den Mittelpunkt und leben von Begegnungen, die in den Beteiligten etwas auslösen.
Exemplarisch stellte Ulrike Wörner zwei Erzählungen von dem 1981 in Salo, der Partnerstadt von Puchheim, geborenen und in Helsinki lebenden Autoren Turkka Hautala vor („Sprungschanzenstädte – Mäkipaikkakunnilla“; „Die Mannschaft der Menschen – Ikmisten joukkue“) sowie eine Erzählung der 1967 in Kangasala geborenen und ebenfalls in Helsinki lebenden Riikka Ala-Harja („Die Insel – Saari“) vor. Sprachlich völlig unterschiedlich, beleuchten alle drei Erzählungen Erinnerungen an vergangene Zeiten und zeichnen so ein anrührendes Bild aktueller Befindlichkeit.
Ulrike Wörner
Im Anschluss stellte Ingeborg Keil den Roman „Totta“, zu deutsch „Wahr“, von Riikka Pulkkinen vor.
Pulkkinen wurde 1980 in Tampere geboren, wuchs in Oulu auf, studierte in Helsinki Literatur und Philosophie. 2006 erschien ihr erstes Buch „Raja“, das im Deutschen „Die Ruhelose“ heißt. 2010 erschien „Totta“, dessen deutsche Übersetzung kam 2012 heraus.
„Wahr“ handelt von drei Generationen, wobei es um Karriere und Familie geht, um Politik, um die sozialen Unterschiede zwischen der finnischen Stadt- und Landbevölkerung der 1950er Jahre, um Liebe, um Krankheit und um das Sterben.
Die 70-jährige Elsa, die eine bekannte und erfolgreiche Psychologin war, erkrankt an Krebs und hat nicht mehr viel Zeit. Durch die Krankheit bricht einiges an Verdrängtem in der Familie auf. Martti, ihrem Mann, einem berühmten Maler, wird wieder bewusst, wie sehr er Eeva, das damalige Kindermädchen, liebte. Eleonoora, die Tochter von Elsa und Martti, eine sehr gefragte Ärztin, erfährt im Laufe des Romans, woher ihre Probleme kommen, mit denen sie kaum umgehen kann. Und Anna, die Enkelin von Elsa und Martti, lernt auf der Suche nach Spuren aus dem Leben von Eeva, dass sie sich selbst um ihr eigenes Leben kümmern muss. Wir erfahren auch von Eeva, die aus Kuhmo stammt, dort, wo ihre Fußsohlen den Waldboden kannten, die in Helsinki studierte, Martti kennen und lieben lernte und die schließlich, weil sie mit ihrer Vorstellung von absoluter Liebe an sich selbst scheiterte, ihr Leben beendet. Wir begleiten die Protagonisten in deren Leben und Leiden, in deren schönen und schweren Stunden.
Insgesamt ist „Wahr“ ein interessantes Buch, das sich zwar nicht ganz einfach liest, aber wenn man sich darauf einlässt, genießt man die schöne Sprache, die wunderbaren Schilderungen von Mensch und Natur in Finnland. Und man zollt der jungen Autorin Respekt, dass sie so einfühlsam über alte und kranke Menschen berichtet.
Ingeborg Keil